Die Wirtschaftsleistung in Deutschland ist in der Corona-Krise etwas weniger stark eingebrochen als zunächst berechnet. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte im zweiten Quartal des Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 9,7 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. In einer ersten Schätzung war die Wiesbadener Behörde von minus 10,1 Prozent ausgegangen

Das ist dennoch der stärkste Rückgang seit Beginn der vierteljährlichen Berechnungen für Deutschland im Jahr 1970.

Grund sind vor allem die Lockdown-Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, die im Frühjahr weite Teile der Wirtschaft lahmgelegt hatten: Geschäfte, Hotels und Restaurants mussten schließen, Fabriken machten dicht oder fuhren ihre Produktion herunter, Messen, Konferenzen und Konzerte wurden abgesagt. Bis weit in den Sommer war auch die Tourismusbranche lahmgelegt, Kinos, Theater, Museen und vieles mehr können bis heute nicht mehr mit voller Auslastung planen.

Das zweite Quartal des Jahres war deshalb in vielfacher Hinsicht ein Extrem: Die privaten Konsumausgaben gingen um 10,9 Prozent gegenüber dem ersten Vierteljahr zurück. Die Investitionen in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge sogar um fast 20 Prozent. Sogar die Bauinvestitionen – das Baugewerbe ist fast die einzige Branche, die weniger stark unter der Pandemie leidet – waren rückläufig. Zugleich traf es die Exportwirtschaft enorm: Im zweiten Quartal wurden 20,3 Prozent weniger Waren und Dienstleistungen exportiert als im ersten Quartal 2020. Die Importe gingen um 16,0 Prozent zurück. All diese Einbrüche waren insgesamt viel heftiger als während der Finanzkrise 2008/2009.      

Auch die Folgen für den Arbeitsmarkt waren dramatisch: Die Wirtschaftsleistung wurde im zweiten Quartal 2020 von rund 44,7 Millionen Erwerbstätigen, die ihren Arbeitsort in Deutschland hatten, erbracht. Das waren 574.000 Personen weniger als ein Jahr zuvor. Einen so starken Rückgang der Erwerbstätigenzahl hatte es zuletzt in der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise im ersten Quartal 2010 gegeben. Hinzu kommt: Ohne Kurzarbeit wäre der Rückgang viel extremer gewesen, denn Menschen in Kurzarbeit werden weiterhin als Erwerbstätige gezählt.

Betrachtet man die durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden je Erwerbstätigen im Analysezeitraum, verringerten sich diese nach ersten vorläufigen Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit massiv um 8,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In dieser Kennziffer schlägt sich dann die hohe Anzahl an Kurzarbeitenden nieder. Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen – also die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden aller Erwerbstätigen – ging entsprechend im selben Zeitraum noch stärker um zehn Prozent zurück. Auch die Arbeitsproduktivität sank stark. In der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/2009 hatte es ähnlich hohe Rückgänge der Arbeitsproduktivität gegeben. 

Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit – das bleibt auch nicht ohne Folgen für die Höhe der Löhne der Beschäftigten und für die Sparquote der privaten Haushalte. Die Bruttolöhne und -gehälter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lagen 4,8 Prozent unter dem Niveau des zweiten Quartals 2019, die Nettolöhne und -gehälter bei 4,3 Prozent. Im Durchschnitt pro Beschäftigten sanken die Löhne etwas weniger stark. Hier spielt eine Rolle, dass es auch einige Branchen gab, in denen die Auswirkungen der Krise nicht ganz so stark waren und in denen viele Mitarbeitende keine Lohneinbußen hinnehmen mussten. Und weil es Milliarden für Kurzarbeit vom Staat gab, ging das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte nur um 0,8 Prozent zurück. Trotzdem waren die Deutschen deutlich sparsamer: Die privaten Konsumausgaben sanken um 11,7 Prozent. Nach vorläufigen Berechnungen ergibt sich fast eine Verdopplung der Sparquote auf 20,1 Prozent im Vorjahresvergleich.

Für das laufende dritte Quartal erwarten Ökonominnen und Ökonomen wegen der Lockerung der Corona-Beschränkungen zwar wieder ein deutliches Wachstum. Allerdings ist angesichts der neuen Debatten über eine erneute Verschärfung der Maßnahmen die Sorge groß, dass die Wirtschaft abermals in Mitleidenschaft gezogen wird. Und so sagt die Bundesregierung für 2020 die schwerste Rezession der Nachkriegszeit voraus: Das Bruttoinlandsprodukt dürfte insgesamt bis Jahresende um 6,3 Prozent einbrechen.

Bundesregierung rechnet mit Milliardenminus

Hinzu kommt: Die Corona-Rezession hat ein riesiges Loch in den deutschen Staatshaushalt gerissen. Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherung gaben im ersten Halbjahr zusammen 51,6 Milliarden Euro mehr aus als sie einnehmen. Auch das teilte das Statistische Bundesamt mit. Das Defizit entspricht 3,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2019 gab es noch einen Überschuss von 46,5 Milliarden Euro.

Im Gesamtjahr 2020 dürfte der deutsche Staat nun tiefrote Zahlen schreiben, nachdem zuvor acht Jahre in Folge ein Überschuss gelungen war. Die Bundesbank rechnet mit einem Defizit von etwa sieben Prozent. "Die Steuereinnahmen brechen weg, während die Ausgaben nicht nur weiterlaufen, sondern teilweise – wie bei der Arbeitslosenversicherung – krisenbedingt stark steigen", erklärte sie.

Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, geht dennoch nicht davon aus, dass sich die Krise verfestigen wird. "Im laufenden Quartal dürfte nun ein Anstieg folgen, der ebenfalls Rekordcharakter hat", sagt der Ökonom. Weil der Einbruch allerdings sehr dramatisch war, werde die Wirtschaftsleistung noch längere Zeit unter dem Vorkrisenniveau bleiben. "Ich rechne damit, dass das Vorkrisenniveau nicht vor Ende 2021 wieder erreicht wird", sagt der Konjunkturforscher. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch sein Kollege Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich bei der ING-Bank. Seiner Analyse nach deuten alle Indikatoren auf einen anhaltenden Anstieg während der Sommermonate hin, auch werde sich langfristig zeigen, dass die Mehrwertsteuersenkung den privaten Konsum anreizt. "Die Mehrwertsteuersenkung dürfte dem privaten Konsum einen weiteren Schub gegeben haben."

Der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel, rechnet ebenfalls wieder mit Wachstum, sorgt sich allerdings, was geschieht, wenn im Herbst die Insolvenzordnung wieder in Kraft tritt. "Die Reaktivierung der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht könnte im Herbst zu einer Pleitewelle führen. Daneben werden die negativen Folgen des Strukturwandels in der Fahrzeugbranche immer offensichtlicher. Viele Automobilzulieferer sind in Nöten. Gleichzeitig sei nicht zu vergessen, dass auch die Handelspartner Deutschlands noch nicht auf den Beinen sind. Die Auslandsnachfrage wird gedämpft bleiben", sagt der Wirtschaftsanalyst. Er stellt sich und sein Institut auf einen "explosiven Mix aus Nachwirkungen der Corona-Pandemie und strukturellen Umbrüchen" ein.