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Gesundheit Russischer Impfstoff

Was man über Corona-Impfungen wissen muss

„Es sieht so aus, als hätten die Russen Phase III kassiert“

Als erstes Land der Welt lässt Russland einen Impfstoff gegen das Coronavirus für die breite Verwendung zu. Das gab Präsident Wladimir Putin im Staatsfernsehen bekannt. Moskau-Korrespondent Christoph Wanner zeigt sich skeptisch.

Quelle: WELT / Christoph Wanner

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In Russland soll der erste Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus zugelassen werden. Forscher sind allerdings skeptisch, denn er hat noch nicht alle Testphasen durchlaufen. Was bedeutet das? Ein Überblick.

Russland lässt den weltweit ersten Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus zu. Das gab Präsident Wladimir Putin bekannt, der den Impfstoff „effektiv“ nannte und sagte, eine seiner Töchter habe sich schon impfen lassen.

Allerdings haben erst wenige Menschen den Impfstoff im Rahmen eines Tests erhalten. Das widerspricht dem international üblichen Vorgehen. Normalerweise werden Vakzine zunächst an Tausenden Probanden auf Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen getestet, bevor sie zugelassen werden. Russland hat bislang keine wissenschaftlichen Daten für eine unabhängige Bewertung veröffentlicht.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das Land darum bereits Anfang August - als der Impfstoff angekündigt wurde – aufgefordert, sich an die festgelegten Richtlinien für die Produktion sicherer und wirksamer Medikamente zu halten.

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Eine reguläre Zulassung ohne die umfangreichen Daten aus einer Phase-III-Prüfung mit mindestens mehreren Tausend Probanden erscheine riskant, sagte auch Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist. Die Zahl der Probanden betrage in der Regel mehrere Tausend bis Zehntausende. In Deutschland gibt es eine Zulassung erst nach Abschluss der letzten, dritten Phase.

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In Russland sollen dagegen Lehrkräfte und medizinisches Personal bereits im August oder September mit dem neuen Stoff geimpft werden. Unabhängig von der Zulassung läuft eine dritte Testphase.

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Weltweit wird in mehr als 170 Projekten nach Corona-Impfstoffen gesucht und mehrere Forscherteams haben vielversprechende Zwischenergebnisse veröffentlicht. Allerdings rechnen Experten generell mit einem marktfähigen Impfstoff zumeist erst im kommenden Jahr. Wie läuft die Suche ab? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Welche Phasen durchläuft die Entwicklung eines Impfstoffes?

Wenn feststeht, wie ein Impfstoff aussehen soll (siehe: Impfstofftypen), wird er zuerst an Tieren getestet. Überleben die Mäuse oder Affen das? Lässt sich die erhoffte Reaktion des Immunsystems feststellen? Es folgen Phase-I-Studien, an wenigen gesunden Menschen wird die Verträglichkeit des Impfstoffes geprüft.

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In Phase-II-Studien wird an Hunderten Probanden untersucht, ob der Stoff auch eine Immunreaktion hervorruft, idealerweise stammen die Teilnehmer aus allen Altersgruppen. Auch die Verträglichkeit wird weiter geprüft. In Phase-III-Studien bekommen dann Tausende den Impfstoff oder ein Placebo. Keiner der Teilnehmer weiß, ob er wirklich immunisiert wird. Nun heißt es abwarten: Werden sich Probanden, die das echte Mittel erhalten haben, seltener oder gar nicht infizieren?

Wie viele Impfstoffe werden bereits an Menschen erprobt?

Schon 27. Das zählte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ende Juli, bei den meisten dieser Kandidaten laufen Studien der Phasen I oder II. Bei sechs Vakzinen wird bereits in Phase-III-Studien untersucht, ob sie vor einer Ansteckung schützen, darunter ist der Impfstoff von Biontech aus Deutschland.

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China berichtet, einen Impfstoff bereits eingeschränkt zugelassen zu haben – für den Einsatz beim Militär. Weltweit laufen aber weit mehr Impfstoffprojekte: Die WHO zählt 165, der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (VfA), der Presse- und Unternehmensmeldungen auswertet, kommt sogar auf 172.

Welche Impfstofftypen werden erforscht?

Es gibt neben der großen Zahl der Projekte etwas, das Experten optimistisch stimmt: Die Forscher aus aller Welt haben zwar ein Ziel vor Augen – zuverlässigen Impfschutz gegen Sars-CoV-2 – aber sie haben vollkommen unterschiedliche Wege eingeschlagen, um es zu erreichen. Und sie kommen, wenn man ihren Angaben glaubt, bisher auf allen Wegen voran. In China und Indien werden sogenannte Totimpfstoffe entwickelt, die auf dem inaktivierten Coronavirus selbst beruhen, dazu gehört etwa der Impfstoff, der fürs Militär zugelassen ist.

Andere Impfstoffe benutzen statt des ganzen Virus ausgewählte Virusproteine, das Unternehmen Novavax aus den USA etwa haftet Proteine an winzige Partikel des Virus und hat in dieser Woche Erfolge in Studien an Affen wie Menschen verkündet.

Ein weiterer Weg sind Vektorimpfstoffe. Sie nutzen die Hüllen von anderen Viren, um Gene des Coronavirus in den Körper zu schleusen und eine Immunreaktion hervorzurufen. Im Impfstoffprojekt der britisch-schwedischen Firma AstraZeneca und der Universität Oxford (das auch schon in Phase III testet) werden Adenoviren von Schimpansen benutzt; auch der Impfstoff, der jetzt am Institut Gamaleja in Russland entwickelt wurde, nutzt Adenoviren als Vektoren.

Der modernste Weg sind schließlich DNA- oder RNA-Impfstoffe, die gar keine Virusbestandteile nutzen, sondern Teile der Erbinformation des Virus in die Körperzellen schleusen. Die Zellen sollen selbst Virusproteine herstellen, die nicht krank machen, aber das Immunsystem für eine Begegnung mit dem echten Virus fit machen sollen. Die deutschen Unternehmen Biontech und CureVac (Studien der Phase I laufen) arbeiten an sogenannten mRNA-Vakzinen.

Wie kann man die Suche beschleunigen?

Einige Impfstoffkandidaten werden in Studien getestet, die Phase I und II zusammenlegen. Die erste Phase, eine Sicherheitsüberprüfung an ein oder zwei Dutzend Freiwilligen, fällt weg, der Impfstoff wird gleich Hunderten Freiwilligen verabreicht. Man kann die Zeit zwischen den Testphasen verkürzen. Normalerweise vergehen Monate, bis Forscher die Zulassung für die jeweils nächste Phase erhalten, in dieser Zeit werden die bisherigen Ergebnisse überprüft.

Manche Forscher warnen vor dem „Fast Track“, der Überholspur, auf der sich viele Impfstoffprojekte befinden. Gründliche klinische Prüfungen brauchen Zeit und können nicht umgangen werden. Ein Impfstoff muss vor allem sicher sein und er darf nicht zu viele Nebenwirkungen haben. Nur dann kann man Millionen Menschen dafür gewinnen, sich auch wirklich impfen zu lassen, wenn der Stoff bereitsteht.

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Bisher wurde aus verschiedenen Studien berichtet, dass Probanden nach der Impfung unter Fieber, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Muskelschmerzen oder Erschöpfung litten.

Wann gilt ein Impfstoff als wirksam?

Die Idealvorstellung wäre ein Impfstoff, der jeden Geimpften für den Rest seines Lebens komplett vor der Krankheit schützt – ohne selbst Nebenwirkungen zu haben, die über etwas Fieber oder Schmerzen an der Einstichstelle hinausgehen. Hundertprozentiger Schutz also. Diese Vorstellung erfüllt allerdings bislang kein einziger Impfstoff, auch bei anderen Vakzinen wie etwa gegen die Grippe nicht. Zum jetzt vorgestellten russischen Impfstoff wurden noch keine entsprechenden Daten veröffentlicht.

Für die aktuelle Suche nach einem Impfschutz gegen das Coronavirus wäre die WHO ab der Hälfte zufrieden. Das heißt, von den Menschen, die geimpft sind, sollten sich nur halb so viele mit dem Virus anstecken und erkranken wie unter Ungeimpften. „Mindestens 50 Prozent Wirksamkeit“: Die Zulassungsbehörde FDA in den USA hat angekündigt, sich dieser Minimalforderung anzuschließen. Die europäische Zulassungsbehörde habe sich noch nicht festgelegt, heißt es beim Verband der forschenden Pharmaunternehmen.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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Quelle: WELT AM SONNTAG

mit smb/AFP/dpa

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