Die Bundesregierung sieht in den Corona-Demonstrationen am Wochenende in Berlin ein Beispiel für einen Missbrauch des Versammlungsrechts. Das sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montagvormittag in Berlin.
Das Recht auf friedliche Demonstration sei auch während der Pandemie ein hohes Gut, betonte Seibert. Allerdings sei dieses Recht am Samstag in Berlin missbraucht worden. „Das Ergebnis waren schändliche Bilder“, so der Regierungssprecher mit Blick auf die rechtsextremen Demonstranten, die Barrikaden vor dem Reichstag durchbrochen und die Treppen des Gebäudes erklommen hatten.
Es sei wichtig, in der aktuellen Lage über die Pandemiemaßnahmen zu streiten. Dafür gebe es die demokratische Auseinandersetzung in den Parlamenten, eine kritische Presse und Öffentlichkeit – und eben auch Demonstrationen, bei denen sich die Teilnehmer allerdings an die Auflagen halten müssten.
Der Dank der Bundesregierung gelte den drei Polizisten, die „geistesgegenwärtig und tapfer“ das Reichstagsgebäude geschützt hätten, sowie allen anderen Beamten, die im Einsatz waren. Außerdem dankte Seibert im Namen der Regierung der „überwiegenden Mehrheit“ der Bevölkerung, die sich „vernünftig, umsichtig und rücksichtsvoll“ verhalte.
Die drei Polizisten, die auf dem oberen Absatz zwischen Demonstranten und dem Besuchereingang des Bundestags zu sehen sind, gehören laut Polizei zu einer sogenannten Alarmhundertschaften eines Polizeiabschnitts der Direktion 5, die zuständig ist für die Innenstadt, also den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und Teile von Neukölln und Mitte.
Alarmhundertschaften bestehen aus Polizisten, die regulär in normalen Revieren oder Polizeiwachen arbeiten und nur in bestimmten Fällen und für einen kurzen Zeitraum zu größeren Einheiten zusammengestellt werden.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) teilte mit, dass sich sieben Polizisten oben im Eingangsbereich der aufgeheizten, aber gewaltfreien Menge entgegengestellt hätten. Auf Videos sind vor allem drei Polizisten aus der Nähe zu sehen.
Vor dem Reichstagsgebäude eskalierte die Lage
Am Samstag waren in Berlin nach Angaben von Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) bis zu 38.000 Menschen aus Protest gegen die Corona-Maßnahmen auf den Straßen – besonders bei der aufgelösten Demonstration am Samstagmittag wurde der Mindestabstand nicht eingehalten. Zudem scheiterte der Versuch, als Auflage eine Maskenpflicht durchzusetzen.Die von der Berliner Versammlungsbehörde verhängten Demonstrations- und Kundgebungsverbote waren zuvor gerichtlich aufgehoben worden.
Bundesweites Entsetzen erregte vor allem ein Vorfall am Samstagabend: Vor dem Reichstagsgebäude eskalierte die Lage, als Hunderte Rechtsextreme die Treppe des Sitzes des Bundestags stürmten. „Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie“, hatte dazu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärt.
Regierungssprecher Seibert sagte, dass sich jeder genau überlegen müsse, mit wem er auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen marschieren – und mit wem er gemeinsam auf der Straße gesehen werden wolle.
Die Polizei ermittelt nach der Besetzung der Reichstagstreppe wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch. Das sagte ein Sprecher am Montag. Möglicherweise könnten noch weitere Delikte dazukommen. Das müssten die Untersuchungen ergeben. Ob die Demonstranten versucht hätten, mit Gewalt in den Reichstag einzudringen oder das Gebäude zu beschädigen, sei noch nicht bekannt.
Auch gegen die Frau, die auf der Bühne einer Reichsbürger-Demonstration direkt vor dem Reichstag zum Sturm auf das Gebäude aufgerufen habe, würden Ermittlungen laufen. Die Identität der Frau sei der Polizei bekannt. Nach einem Bericht des „Tagesspiegel“ soll es sich um eine bekannte Vertreterin der Reichsbürgerszene handeln, die aus der Eifel stammt, als esoterische Heilpraktikerin arbeitet und schon oft bei Demonstrationen öffentlich auftrat.
Reichsflaggen am Parlament für Steinmeier „unerträglich“
Steinmeier wiederholte am Montagmittag in einem Statement vor der Presse nach einem Treffen mit am Samstag am Reichstagsgebäude eingesetzten Polizisten seine deutliche Kritik: „Reichsflaggen, sogar Reichskriegsflaggen darunter, auf den Stufen des frei gewählten deutschen Parlaments, das Herz unserer Demokratie, das ist nicht nur verabscheuungswürdig, sondern angesichts der Geschichte dieses Ortes geradezu unerträglich.“
Antidemokratische Hetze und eine Herabwürdigung der Bundesrepublik Deutschland würden am Bundestag nicht geduldet, so Steinmeier in seinem Amtssitz Schloss Bellevue.
Wer sich über die Corona-Maßnahmen ärgere oder ihre Notwendigkeit anzweifle, dürfe dagegen demonstrieren, betonte der Bundespräsident. Sein Verständnis ende aber dort, wo Menschen sich „vor den Karren von Demokratiefeinden spannen“ ließen. „Wer auf den Straßen den Schulterschluss mit Rechtsextremisten sucht, aber auch wer nur gleichgültig neben Neonazis, Fremdenfeinden und Antisemiten herläuft, wer sich nicht eindeutig und aktiv abgrenzt, macht sich mit ihnen gemein“, sagte Steinmeier.
Auch er dankte den vielen Tausend Polizeibeamten, die unter hohem persönlichem Risiko Recht und Gesetz verteidigt hätten. Sie hätten gezeigt, dass unser Rechtsstaat funktioniert, so Steinmeier. Die Verteidigung der freiheitlichen Demokratie obliege allerdings nicht allein der Polizei, sagte er. „Sie ist Aufgabe und Pflicht der gesamten Zivilgesellschaft – und jedes Einzelnen. Aktiv, entschieden und mutig müssen wir gemeinsam den Feinden unserer Demokratie die Stirn bieten.“