Das Coronavirus habe die vergangenen Monate in Deutschland bestimmt, und das werde laut Bundeskanzlerin Angela Merkel auch im Herbst und Winter so bleiben. "Das Virus ist eine demokratische Zumutung", sagte Merkel auf ihrer Sommerpressekonferenz in Berlin. Die Bürgerinnen und Bürger müssten damit rechnen, dass es in den kommenden Monaten sogar noch schlimmer werde als im Sommer, da man sich wieder vermehrt drinnen aufhalte.

Mit Blick auf den Herbst formulierte Merkel drei Ziele für die Arbeit der Bundesregierung. Zum einen wolle man alles dafür tun, dass Kinder nicht die Verlierer der Pandemie sind. "Und damit meine ich alle Kinder, egal aus welchem Umfeld", sagte Merkel. Die Schule dürfe niemanden zurücklassen. Die Rückkehr zum Unterricht sei eine der schwierigsten Aufgaben.

Weiter müsse das Wirtschaftsleben in Deutschland so bald wie möglich zum Laufen gebracht werden, um Arbeitsplätze zu erhalten. Dabei gelte es aber auch, die deutsche Innovationskraft zu erhalten. Merkel nannte etwa den Klimaschutz als Beispiel.

Drittes Ziel sei, den gesellschaftlichen Zusammenhalt so weit wie möglich zu wahren. Die Pandemie sei eine Herausforderung, aber einige seien besonders gefordert. Merkel nannte etwa ältere Menschen, Pflegebedürftige, Studierende, Familien mit Kindern in beengten Verhältnissen, Kleinunternehmer und Künstler. Sie setze sich dafür ein, mit diesen Gruppen immer im Gespräch zu bleiben.

"Für Europa gilt, was für Deutschland gilt"

Merkel sprach auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft an. Im Mittelpunkt stehe, die Europäische Union gut und stark durch die Krise zu bringen, und das gehe nur gemeinsam. Es sei ein guter Start für die Präsidentschaft gewesen, vor der Sommerpause den Aufbaufonds beschlossen zu haben. "Für Europa gilt, was für Deutschland gilt", sagte Merkel. Man dürfe nicht aus den Augen verlieren, was für die Zukunft wichtig sei. Merkel nannte etwa den Klimaschutz. Europa müsse von Anfang an vorne mit dabei sein. Wichtige Themen der deutschen Präsidentschaft seien in den kommenden Wochen zudem der Brexit, die gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik sowie die Außenpolitik.

Auf die Frage, warum es gegen den Klimawandel keine radikalen, notwendigen Maßnahmen gebe, wie es während der Corona-Pandemie geschehe, sagte Merkel, die Regierung versuche auf die Herausforderungen angemessen zu reagieren. "Jede Bedrohung erfordert eine Reaktion." Beim Klimaschutz seien bereits entschiedene Schritte gegangen worden, "wir 
werden da noch mehr Geschwindigkeit bekommen", sagte sie. Sie unterscheide den Klimawandel und die Pandemie nicht in einer Hierarchie der Herausforderungen, beide seien lebensbedrohlich und sehr groß.

Konkret gelte es, in Deutschland die Klimaschutzprogramme umzusetzen und in der EU eine einheitliche Linie zu schaffen, sagte die Kanzlerin. Dazu gehöre, das Klimaschutzziel der EU für 2030 festzulegen. Sie unterstütze das Ziel, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen, also unterm Strich keine Treibhausgase mehr auszustoßen.

Angela Merkel steht zu ihrer Flüchtlingspolitik von 2015

Gefragt nach ihrer Entscheidung, im Jahr 2015 Geflüchteten in Deutschland Schutz gewährt zu haben und die Grenzen offen zu halten, sagte Merkel: "Ich würde die wesentlichen Entscheidungen wieder so fällen." Zu dem viel zitierten Satz "Wir schaffen das" sagte sie, dieser habe sich ein bisschen verselbstständigt. "Vor fünf Jahren habe ich diesen Satz in einer sehr speziellen Situation gesagt." Es würde ihr nicht in den Sinn kommen, den Satz angesichts der Corona-Pandemie zu wiederholen, jede Krise habe ihre eigenen Herausforderungen und Sprache.

Kanzlerin will für Frauenquote stimmen

Die Pläne für eine Frauenquote von 50 Prozent in der CDU befürwortet Merkel. "Das finde ich auch richtig, und deshalb werde ich aus vollem Herzen zustimmen", sagte sie. Der Frage, warum eine solche Quote nicht zu ihrer Zeit als CDU-Chefin eingeführt wurde, wich sie aber etwas aus.

Über die schrittweise Einführung einer Frauenquote bis zum Jahr 2025 soll beim CDU-Parteitag im Dezember abgestimmt werden. Beginnend bei der Kreisebene soll für Vorstandswahlen ab dem kommenden Jahr eine Frauenquote vorgeschrieben sein, die bis zum Jahr 2025 in mehreren Schritten auf 50 Prozent steigt.

Merkel: Europäische Reaktion auf mögliche Vergiftung Nawalnys vorstellbar

Am deutsch-russischen Verhältnis sieht Merkel angesichts der Vorgänge in Belarus und der mutmaßlichen Vergiftung des Putin-Kritikers Alexej Nawalny keinen Änderungsbedarf. Sie erinnerte an frühere Fälle wie die Annexion der Krim oder den russischen Ex-Doppelspion Sergej Skripal. Sie könne nur hoffen, dass im Fall von Belarus die Souveränität geachtet werde. "Wir müssen mit Russland im Gespräch bleiben", sagte Merkel. Das Land sei ein wichtiger geostrategischer Akteur. Ziel sei es, gute Beziehungen zu haben, dieser Spannungsbogen begleite sie weiter.

Deutlicher wurde Merkel zur Lage in Belarus: Die regierungskritischen Demonstrierenden sollten "ohne Einmischung von außen" für ihre Freiheitsrechte eintreten können. Sie hoffe, dass, anders als vom russischen Präsidenten Wladimir Putin angekündigt, keine russischen Sicherheitskräfte in Belarus zum Einsatz kommen werden, sagte Merkel.

Sie könne sich auch eine gemeinsame europäische Reaktion auf die mögliche Vergiftung Nawalnys vorstellen. "Wir werden auch das versuchen, wenn wir mehr Klarheit haben über die Hintergründe", sagte Merkel. Sie verwies darauf, dass es eine solche Reaktion auch bei dem Giftanschlag auf Skripal in Großbritannien gegeben habe. Damals wiesen fast 30 westliche Verbündete russische Diplomaten aus. Im Fall Nawalny ist aber noch unklar, ob es sich um einen Giftanschlag gehandelt hat und wer dafür verantwortlich sein könnte.